Der Respekt vor der Polizei geht verloren

Auch in Graubünden wird Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ausgeübt. Dies vor allem in der Stadt Chur. Auf dem Land ist es vergleichsweise noch friedlich. Die Frage ist: Wie lange noch?

von Dario Morandi

 

Der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) ist besorgt: «Es war ein schwarzes Wochenende für die Polizistinnen und Polizisten»: Mit diesen Worten lässt sich Präsidentin Johanna Bundi Ryser in einer Medienmitteilung des VSPB vom vergangenen Montag zitieren. Dabei bezieht sie sich unter anderem auf die Strassenschlachten rund um die Berner Reitschule, bei denen zehn Polizisten

verletzt wurden. Nicht genug damit: Auch in Basel und Mon-they (Wallis) wurden Beamte angegriffen. In Monthey musste ein Gemeindepolizist mit schweren Schnittverletzungen ins Spital eingeliefert werden. Für Bundi Ryser ist deshalb klar: «Das darf nicht einfach so hingenommen werden. Wer jetzt nicht handelt, solidarisiert sich mit den Tätern!»

 

Es fehlt zunehmend an Respekt

 

Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten gibt es auch in Graubünden. Das zeigt der Fall eines Churer Stadtpolizisten, der sich kürzlich mit einem Warnschuss gegen einen mit einem Messer bewaffneten Mann zur Wehr setzen musste.

 

Zum polizeilichen Alltag in Graubünden gehören solche Ereignisse allerdings (noch) nicht. «Bei uns ist es weniger die Gewalt als vielmehr die zunehmende Respektlosigkeit, die uns Sorgen macht.» Allerdings sei es nicht so gravierend wie etwa in Grossstädten wie Bern oder Zürich, sagt Robert Willi. Er ist stellvertretender Kommandant der Kantonspolizei Graubünden. Gewalt gegenüber Ordnungshütern ist seiner Einschätzung nach «eher ein städtisches Problem».

Auch die Zahl der Anzeigen wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden oder Beamte

sei rückläufig. Dabei beruft sich Willi auf die Bündner Kriminalstatistik: 2015 waren es 58 Fälle, im vergangenen Jahr dürften es unter 30 gewesen sein. Darin eingeschlossen sind indessen nicht nur Tätlichkeiten gegen Polizisten. «Die Anzeigen stammen auch von Zugführern oder Busfahrern», sagt Willi.

 

Für Polizisten sehr unangenehm

 

Trotz rückläufiger Anzeigen: Verharmlosen will Willi das Ganze nicht. Ganz im Gegenteil. Auch seine Leute stellen fest, dass die Hemmschwelle in Sachen Respektlosigkeit stetig sinkt. Selbst wenn es sich dabei oft um Einzelfälle handle – «für unsere Polizisten sind sie sehr unangenehm.»

 

«Wer jetzt nicht handelt, solidarisiert sich mit den Tätern.»

 

 Das gehöre zwar zum Beruf. «Irgendwann wird aber die Toleranzgrenze überschritten», betont der stellvertretende Polizeikommandant Willi. Alles bieten lassen müssten sich seine Leute aber nicht. So weit lässt es die Polizei in der Regel gar nicht erst kommen: «Unsere Polizisten sind auf solche Si-tuationen vorbereitet worden und versuchen möglichst deeskalierend aufzutreten», versichert Willi.

 

Es wird strikte Anzeige erstattet

 

Bei der Stadtpolizei Chur gilt bei Gewalt und Drohung gegen Beamtinnen und Beamte «Nulltoleranz». Gegen die betreffenden Personen werde in jedem Fall «strikte Anzeige erstattet», stellt Kommandant Ueli Caluori klar. Der Respekt gegenüber Polizisten habe abgenommen, und auch die Hemmschwelle bei Übergriffen sei in den letzten Jahren gesunken. Caluori: «Die verbalen und physischen Übergriffe

nehmen sowohl zahlenmässig wie auch bezüglich Intensität in der Stadt Chur zu.» Bei den Tätern handle es sich um Einzelpersonen wie auch um Personengruppen verschiedenen Alters, Herkunft und sozialer Schichten. Für das städtische Polizeikorps heisst dies nach Caluoris Worten eines: «Weiter professionelle Aus- und Weiterbildung bezüglich Verhalten und Vorgehen bei solchen Einsätzen,

und vor allem auch auf die Einhaltung eines möglichst hohen Eigenschutzes achten.» Wie Stadtpolizei-Kommandant Caluori weiter ausführt, legt das Kommando nach Übergriffen auf Polizisten «speziell grossen Wert auf korpsinterne persönliche Betreuung bis hin zur Betreuung durch Fachpersonen». Zum Schutz der Polizisten sei es generell «sehr wichtig, mindestens die bestehenden Gesetze konsequent

anzuwenden, aber je nach Schwere der Delikte auch höhere Strafen auszusprechen», betont Caluori.

Wegen der jüngsten Gewaltexzesse versucht der VSPB auf politischer Ebene Druck aufzusetzen. Dabei hofft der Polizeibeamtenverband auf die parlamentarischen Initiativen der Nationalräte Marco Romano (CVP, Tessin) und Bernhard Guhl (BDP, Aargau). Die Parlamentarier fordern bei Angriffen gegen

Beamte eine minimale Freiheitsstrafe von drei Tagen. Ausserdem sollen die Gerichte die Möglichkeit erhalten, das Höchststrafmass bei einem qualifizierten spezifischen Wiederholungsfall zu verdoppeln.

 

In die Agenda aufnehmen

 

VSPB-Präsidentin Bundi Ryser zeigt sich gemäss der Mitteilung überzeugt davon, «dass diese Verschärfungen sinnvoll und mehrheitsfähig sind». Jetzt müssten diese parlamentarischen Vorstösse «umgehend in die Agenda aufgenommen und behandelt werden». Ob dem tatsächlich so sein wird, muss indessen bezweifelt werden. Der Ständerat hat soeben einen Vorstoss des ehemaligen Walliser SVP-Nationalrats Oskar Freysinger abgelehnt, der eine härtere Bestrafung bei Drohung und Gewalt gegen Behörden und Beamte gefordert hatte. Zwei Nationalräte fordern bei Angriffen gegen Beamte eine minimale Freiheitsstrafe von drei Tagen.